Madagaskar- Ethnische Gruppen(Völker) - Die Bara
Im südlichen Hochland Magagaskars lebt das Volk der Bara. Die Viehhirten afrikanischer Abstammung führten ursprünglich ein Leben als Halbnomaden. Der Besitz von Zebus, einer aus Indien stammenden Rinderrasse, ist für Angehörige dieser Ethnie von zentraler Bedeutung. Ein künftiger Schwiegersohn wird daran gemessen, ob er mutig genug ist, ein Rind zu stehlen. Dieses muss er für seine Auserwählte als Brautpreis bezahlen.
Ursprung und Historie der Ethnie
Die hohe Bedeutung des Zeburindes als Statussymbol deutet darauf hin, dass diese Volksgruppe vom afrikanischen Volk der Bantu abstammt. Auf Madagaskar siedelte sie sich im Südwesten in der Nähe der Hafenstadt Toliara an. Im 17. Jahrhundert kam es zu Auseinandersetzungen mit dem Volk der Mahafaly, das in das Bara-Territorium eindrang und ihr Familienoberhaupt als Anführer der neu gegründeten Zafimanely-Dynastie einsetzte. Folge war ein lang andauernder Machtkampf zwischen den beiden Ethnien. Erst um 1800 erreichte der Zafimaniry-König Raikitroka eine Befriedung, indem er neue Gesetze einführte, die die Spannungen abmilderten. Nach seinem Tod gliederte sich das Territorium in mehrere Königreiche und Fürstentümer auf. Die Bara gelangten durch internationale Handelsbeziehungen zu Wohlstand und verteilten sich weiträumig in die Ebenen im Süden und Westen des Territoriums. Obwohl die Herrscherin Ranavalona I einen Militärposten in Ihosy einrichtete, gelang es nie, das Bara-Volk vollständig zu unterwerfen. Schließlich wurde das Königreich Zafimanely 1896 unter der französischen Kolonialmacht aufgelöst. Ramieba, der Herrscher eines der Bara-Königreiche, wurde 1897 anlässlich der Teilnahme in einem Aufstand gegen die Franzosen festgenommen, was die gesamte Volksgruppe verärgerte und sie zu weiterem Widerstand gegen die Eroberer ermunterte.
Südwestliches Hochland als Lebensraum der Volksgruppe
Einst war der Volksstamm im Südwesten der Insel auf mehrere Königreiche aufgeteilt, die unter Führung Adeliger der Zafimanely standen. Unter König Raikitroka um 1800 vereint, splittere sich das Territorium nachfolgend wieder in einzelne, teils rivalisierende, Königreiche auf. Vom sich ausdehnenden Königreich Imerina blieben diese unabhängig. Der französischen Kolonialisierung ab 1896, von der Madagaskar sich erst 1960 befreien konnte, widersetzte sich die Ethnie über ein ganzes Jahrzehnt hinweg erfolgreich.
Heute lebt die Volksgruppe hauptsächlich im madagassischen Hochland um ihre ehemalige Hauptstadt Ihosy herum. Traditionell führten diese Menschen ein Leben als Halbnomaden, das sie nun jedoch schrittweise aufgeben. Es gibt einige feste Dörfer, in denen Hütten, erbaut aus Schilf und einem Gemisch aus Erde und Zebudung zu Wohnzwecken dienen. In den Ansiedelungen werden die Zebu-Herden gehalten und Ackerbau betrieben. Auf den Feldern wachsen die nahrhaften Grundnahrungsmittel Mais, Hirse, Maniok und Reis. Den Großteil der Zeit verbringen die Menschen in ihren Lagerstätten oder Dörfern. Finden Rinder- oder Gemüsemärkte statt, begeben sie sich dorthin, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Erzielung von Einkünften
Die Haupteinnahmen erzielt das Volk der Bara schon über viele Generationen hinweg aus der Zucht und dem Verkauf der Zebu Rinder. Auf wöchentlichen Rindermärkten bietet sich die Gelegenheit, Zebus zu einem guten Preis zu verkaufen. Einige der Rinder gelangen vom Markt aus direkt mit dem Lkw zum nächsten Schlachthof. Andere landen beim Zebu Rodeo, bei dem junge Männer auf dem Rücken der Rinder ihr Geschick beweisen. Über einige Jahrzehnte hinweg haben sich die Angehörigen dieser ethnischen Gruppe Kenntnisse im Ackerbau angeeignet. Sie erlernten den Anbau von Reis, Mais, Maniok und Hirse. Teile der Ernten, die sie nicht für den eigenen Bedarf brauchen, verkaufen sie.
Noch bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein waren die Angehörigen dieser Volksgruppe in den Sklavenhandel involviert. Ab 1870 exportierten sie ihre Rinder bis nach Südafrika, wo die Nachfrage nach Vieh stieg, nachdem viele Tiere Krankheiten zum Opfer gefallen waren. Weitere Einnahmen erzielten sie mit der Produktion von Seide, die von den Frauen zu Kleidungsstücken verwoben oder als Rohseide exportiert wurde.
Sprache und Kultur
Bara-madagassisch ist der Dialekt dieser Ethnie. Madagassisch gehört zur Malayisch-Polynesischen Sprachfamilie und ist neben Französisch eine der beiden Amtssprachen auf Madagaskar. Es leitet sich von den Barito-Sprachen ab, die im Süden Borneos gebräuchlich sind. Einwanderer aus Südostasien brachten die Sprache auf die Insel.
Die Haupt-Zebu-Züchter der Insel leben in strikt patriarchalischen Strukturen. Verheiratungen innerhalb der gleichen sozialen Gruppe und Vielehen, bei denen ein Mann bis zu sieben Frauen heiraten darf, sind der gesellschaftliche Standard. Der Mann muss jedoch die Erlaubnis der jeweils zuletzt geehelichten Frau einholen, wenn er noch einmal heiraten möchte. In der Praxis gehen wegen der damit verbundenen finanziellen Verpflichtungen, eher wohlhabendere Männer mehrere Ehen ein. In der Bara-Kultur gilt Mut als Zeichen der Männlichkeit. Diesen beweisen die Heranwachsenden am besten durch einen Viehdiebstahl, der ein zentrales kulturelles Merkmal ist. Auch beim Zebu-Rodeo können die jungen Männer ihre Tapferkeit unter Beweis stellen.
Ein weiteres wichtiges kulturelles Merkmal ist die Kunst des Geschichtenerzählens. Charakteristische Merkmale der Mythen und Geschichten sind die teils derbe Wortwahl, eine prägnante Ausdrucksweise und einfache Erzählstrukturen. Die Tänze und handgefertigten Holzstatuen mit Wimpern aus echtem Haar sind auf ganz Madagaskar bekannt. Aus handgepflückter und selbst gesponnener Baumwolle weben die Frauen Kleidungsstücke für die ganze Familie.
Tanz, Musik und gesellschaftliche Tabus
Auch in den musischen Ausdrucksformen spielt das Zebu-Rind eine wesentliche Rolle. Die Bewegungsabfolgen beim Karitaky-Tanz sind den Tritten der Rinder nachempfunden. Kilalaky, ein beliebter moderner Tanz, entstand einst unter Viehhirten. Musikalisch begleitet wird der Kilalaky von traditionellen Instrumenten wie der Djembe und der Kabosy, einer madegassischen Kastengeige in Kombination mit der E-Gitarre und Bassgitarre.
Das gesellschaftliche Leben ist stark durch Tabus geprägt, die sich nach dem sozialen Status richten. Sie variieren von Dorf zu Dorf oder sogar in einzelnen Familien. Allgemein verboten ist die Berührung von Schmutz. Wildschweine, Perlhühner und Ziegen dürfen weder angefasst noch verzehrt werden.
In manchen Dörfern ist es verboten, Lasten alleine zu tragen, es muss zumindest eine zweite Person dabei helfen. Geschirr und Becher darf immer nur ein und dieselbe Person benutzen. Es ist nicht erlaubt, über jemanden zu steigen, der am Boden sitzt oder liegt oder sich an jemandes Bett anzulehnen.
Beerdigungsrituale
Die Bara haben eigene Rituale zur Bestattung der Toten, die von denen anderer Volksgruppen auf Madagaskar abweichen. Die Toten bestatten sie vornehmlich in Felssplaten im Isalo Nationalpark, einer Umgebung, die als heilig gilt. Abseits des Isalo Nationalparks errichten sie Grabstätten aus Steinen außerhalb des Dorfes.
Die Bestattung erfolgt innerhalb von zwei Tagen nach dem Tod. Den Leichnam legen die Angehörigen des Bara-Volkes, in eine Matte gewickelt, in eine Felsspalte und verschließen den Eingang mit Steinen. Auf dem Weg zum Bestattungsort schlachten sie entsprechend dem Reichtum des Verstorbenen und der Anzahl der anwesenden Trauernden eine bestimmte Anzahl von Zebus. Oft liegen die Grabstätten in 15 oder 20 Metern Höhe auf Felsklippen und sind nur mit Seilen oder Leitern erreichbar. Folgen Angehörige der Tradition des Familiengrabs, exhumieren sie den Leichnam nach drei Monaten oder spätestens innerhalb eines Jahres und schaben das noch vorhandene Fleisch von den Knochen ab. Anschließend waschen sie die Knochen und hüllen sie in ein kostbares Seidentuch ein, bevor sie sie in das aus Stein erbaute Familiengrab legen. Ein Jahr später versammelt sich die gesamte Großfamilie zum zweiwöchigen Fest der Vollendung des Leichnams, bei dem täglich ein Zebu geschlachtet und mit Reis verzehrt wird. Tanz und Gesang der schön gekleideten Feiernden begleiten die Zeremonien.
Das Volk der Bara in Madagaskar ist eine der 18 Ethnien, die heute auf der Insel leben. Ihr Siedlungsgebiet erstreckt sich über das südliche Hochland, in dem auch ihre einstige Hauptstadt Ihory liegt. Sie haben sich eine eigentümliche Tradition bewahrt, die bei anderen Ethnien ein gewisses Missfallen hervorruft. Ein Brautwerber muss den künftigen Schwiegereltern beweisen, dass er ein würdiger Ehemann ist, indem er ein Rind stiehlt und als Brautpreis bezahlt.